Untersuchungen haben gezeigt, dass die Opfer sexueller Übergriffe, die zum Teil lebenslang unter den Folgen leiden, sich nur zu einem Bruchteil anderen Menschen anvertrauen und eine Strafanzeige vornehmen. Insofern bilden jene Fälle, die der Justiz bekannt werden und im so genannten Hellfeld erscheinen, nur einen Teil der Problematik ab. Auch Nutzung, Besitz und Verbreitung von fotografischen oder filmischen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs oder explizite Darstellungen der unbekleideten Genitalien von Kindern bleiben in den meisten Fällen unentdeckt.
Interventionen konzentrierten sich bislang vor allem auf justizbekannte Täter. Damit blieben jedoch zwei Zielgruppen vorbeugender Anstrengungen unberücksichtigt: Männer, deren Taten im Dunkelfeld verbleiben (Dunkelfeld-Täter), und Männer, die sich in Gefahr sehen, Taten zu begehen (potentielle Täter). Das "Präventionsprojekt Dunkelfeld" bietet durch Einbezug dieser beiden Gruppen einen präventiven Ansatz, der somit ergänzend zu den bisherigen Anstrengungen wirkt.
Pädophilie und sexueller Kindesmissbrauch
Pädophilie bezeichnet als klinische Diagnose eine sexuelle Ansprechbarkeit auf den kindlichen Körper. Nach heutigem Wissen manifestieren sich sexuelle Neigungen - und damit auch die Pädophilie - mit der Pubertät und bleiben von da an unverändert bestehen. Das bedeutet, dass niemand sich seine sexuelle Neigung "aussucht". Sie ist "Schicksal" und nicht "Wahl". Jedoch trägt jeder Mensch die alleinige Verantwortung für sein sexuelles Verhalten.
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge haben bis zu ein Prozent der Männer auf Kinder gerichtete sexuelle Fantasien. Demnach fühlen sich in Deutschland ca. 250.000 Männer zwischen 18 und 75 Jahren zu Kindern sexuell hingezogen. Für diejenigen, die sich mit ihrer Neigung problembewusst auseinandersetzen, und keine sexuellen Übergriffe begehen wollen, stellt die Pädophilie nicht selten eine erhebliche Belastung dar.
Die sexuelle Ansprechbarkeit auf den kindlichen Körper konnte als wichtigster Risikofaktor für das Begehen von sexuellem Kindesmissbrauch und den Konsum von Kinderpornografie identifiziert werden. Pädophilie und sexueller Kindesmissbrauch sind jedoch nicht synonym. Während Pädophilie einen klinischen Terminus darstellt, beschreibt der Terminus "sexueller Kindesmissbrauch" eine juristisch relevante Straftat.
Das Präventionsprojekt Dunkelfeld
Das 2004 vom Berliner Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin des Universitätsklinikums Charité ins Leben gerufene "Präventionsprojekt Dunkelfeld" (PPD) wendet sich gezielt an die Gruppe potentieller und Dunkelfeld-Täter mit pädophiler Neigung. Ziel des Projektes ist es, durch präventive Therapie einen aktiven Beitrag zum Kinderschutz zu leisten. Pädophile Männer werden therapeutisch in ihrem Bestreben unterstützt, keinen erstmaligen oder wiederholten sexuellen Kindesmissbrauch zu begehen und keine Missbrauchsabbildungen im Internet (sogenannte Kinderpornografie) zu konsumieren.
Um die Zielgruppe zu erreichen, wird mit Hilfe einer Medienkampagne auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, kostenlos und Schweigepflicht geschützt sowohl Diagnostik und Beratung sowie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Darüber hinaus zielt das Projekt darauf ab, die Öffentlichkeit für die Thematik zu sensibilisieren und zu zeigen, dass es Menschen mit einer sexuellen Neigung für Kinder gibt, die über ein Problembewusstsein verfügen und keine sexuellen Übergriffe begehen wollen. Die Annahme, dass das Risiko sexueller Übergriffe bei fundiert durchgeführter Diagnostik und Therapie gesenkt werden kann und somit primärpräventive Maßnahmen direkten Opferschutz darstellen, wird im Rahmen des Projektes wissenschaftlich untersucht. Die Rechtslage bietet durch den vom Gesetzgeber intendierten, durch die Schweigepflicht gewährten Schutzraum, eine günstige Ausgangssituation für die therapeutische Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch. Im Rahmen der Therapie erhalten die Patienten Unterstützung beim Umgang mit Problemen, die sich aus ihrer Sexualität ergeben. Wer teilnehmen will, muss bezüglich seiner auf Kinder gerichteten sexuellen Impulse über ein Problembewusstsein verfügen und von sich aus therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Einbezogen in das Therapieprogramm des Präventionsprojektes werden nur Personen mit einer sexuellen Präferenz für Kinder, die nicht (mehr) unter irgendeiner Form von Aufsicht durch die Justiz stehen (i. A. laufende Ermittlungen, Bewährung, Therapieauflagen etc.).
Teilnahmewillige Personen müssen demnach bezüglich ihrer auf Kinder gerichteten sexuellen Impulse über ein Problembewusstsein verfügen und von sich aus therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Des Weiteren dürfen keine behandlungsbedürftigen psychiatrischen Erkrankungen oder ausgeprägte Intelligenzminderung vorliegen. Ziel der Therapie ist es, den Umgang mit der sexuellen Neigung so zu bewältigen, dass das eigene Verhalten kontrolliert werden kann und es zu keinem sexuellen Übergriff auf Kinder und keiner Nutzung von Kinderpornografie kommt. Im Verlauf der Therapie erlernen die Patienten eine angemessene Wahrnehmung und Bewertung ihrer sexuellen Wünsche und Bedürfnisse, die Identifikation und Bewältigung gefährlicher Situationen sowie Strategien zur Verhinderung von sexuellen Übergriffen. Die Therapie findet wöchentlich in Gruppen sowie bei Bedarf auch in Einzelgesprächen und unter Einbeziehung Angehöriger statt. Die Behandlung folgt einem strukturierten Therapieplan, berücksichtigt aber die individuellen Bedürfnisse und erfolgt in Absprache mit den Patienten. Das therapeutische Vorgehen integriert verhaltenstherapeutische und sexualmedizinische Ansätze, die die Möglichkeit einer medikamentösen Unterstützung beinhalten. Die gesamte Therapie erfolgt kostenlos und unter Schweigepflicht.
Eine Heilung im Sinne einer Löschung der auf Kinder bezogenen sexuellen Impulse ist nach bisherigem Wissensstand nicht möglich. Daher liegt die therapeutische Zielsetzung vor allem in der Bearbeitung des Maßes an Verantwortungsübernahme in kritischen Situationen.
Ambulanzen des Präventionsprojektes Dunkelfeld existieren mittlerweile neben Berlin auch in Kiel, Regensburg und Leipzig. An den Standorten Hannover und Hamburg werden Anfang 2012 weitere Einrichtungen eröffnet. Ziel des Projektes, das sich in einem Präventionsnetzwerk zusammen geschlossen hat, ist die bundesweite Etablierung der primären Prävention sexueller Traumatisierungen.
Kontakt:
Jens Wagner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Dunkelfeldprojekte
Charité Universitätsmedizin Berlin, CC01 - Centrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin, Luisenstr. 57, 10117 Berlin, Tel. 030 450 529 307, Jens.wagner@charite.de, www.kein-taeter-werden.de