Evidenzbasierte Leitlinien empfehlen bei nahezu allen psychischen Erkrankungen Psychotherapie als wirksame und kosteneffektive Behandlungsmethode. Dabei geben die Leitlinien in vielen Fällen der Psychotherapie den Vorzug vor Psychopharmaka. Obwohl auch die meisten Patienten Psychotherapie einer medikamentösen Behandlung vorziehen, wird Psychotherapie in der Versorgung noch zu selten genutzt. Ein wesentlicher Grund hierfür sind die unzureichenden Behandlungskapazitäten in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Stattdessen werden zu häufig Psychopharmaka verordnet. "Bundesweit fehlen auch nach der jüngsten Reform der Bedarfsplanung noch mindestens 3.000 psychotherapeutische Praxen. Darüber hinaus müssen dringend die Möglichkeiten der psychotherapeutischen Akutversorgung verbessert und gruppenpsychotherapeutische Behandlungsangebote ausgebaut werden", stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), anlässlich der Herausgabe des BPtK-Standpunkts "10 Tatsachen zur Psychotherapie" fest.
Psychotherapie ist wirksam. Dieser Nachweis wurde bei nahezu allen psychischen Erkrankungen in vielen randomisierten und kontrollierten Studien erbracht. Die Erfolgs- und Besserungsraten psychotherapeutischer Behandlungen liegen dabei höher als die vieler Behandlungsmethoden bei körperlichen Erkrankungen. Patienten brechen außerdem eine psychotherapeutische Behandlung deutlich seltener ab als eine medikamentöse. Ferner hat eine psychotherapeutische Versorgung im Vergleich zur Pharmakotherapie nachhaltigere Effekte, die über das Therapieende hinaus anhalten.
Die Akzeptanz der Psychotherapie hat in der Bevölkerung deutlich zugenommen. Aber psychisch kranke Menschen werden nach wie vor stigmatisiert. Die soziale Ablehnung von depressiven Menschen ist seit Jahrzehnten nahezu unverändert. Schizophren erkrankte Menschen werden im Vergleich zu früheren Jahrzehnten sogar noch stärker als "gefährlich" stigmatisiert.
Patienten nehmen eine ambulante psychotherapeutische Behandlung in Anspruch, weil sie unter gravierenden psychischen Beschwerden und Beeinträchtigungen leiden. Darüber hinaus leiden psychisch kranke Menschen deutlich häufiger an körperlichen Erkrankungen als die Normalbevölkerung.
Psychisch kranke Menschen erhalten zu spät oder gar keine Behandlung. Sie warten in Deutschland durchschnittlich 12,5 Wochen auf ein erstes Gespräch beim niedergelassenen Psychotherapeuten. Noch länger sind die Wartezeiten in ländlichen Kreisen (14,5 Wochen) und im Ruhrgebiet (17,0 Wochen). Durch die langen Wartezeiten verschlimmern sich psychische Erkrankungen, chronifizieren oder kehren wieder. Manchmal geben Patienten die Suche auf und bleiben ohne Behandlung, viele Patienten werden einseitig medikamentös versorgt. Immer mehr gesetzlich Versicherte nutzen die Kostenerstattung und suchen eine private psychotherapeutische Praxis auf. In dringenden Fällen wenden sich psychisch kranke Menschen an psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser.
Psychotherapie spart mehr Ausgaben, als sie selbst verursacht. Die Ausgaben für ambulante Psychotherapie betrugen 2010 1,5 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von sechs Prozent an den gesamten Honorarausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für die vertragsärztliche Versorgung. Diese geben damit mehr für Krankengeld aufgrund psychischer Erkrankungen (zwei Milliarden Euro) aus als für ambulante Psychotherapie. Die Ausgaben für Psychopharmaka lagen 2010 mit 2,6 Milliarden Euro (8,7 Prozent aller GKV-Fertigarzneimittelausgaben) ebenfalls deutlich über den Ausgaben für ambulante Psychotherapie. Ebenso darüber lagen die Kosten stationärer Behandlungen für psychisch kranke Menschen, die auf 4,6 Milliarden Euro geschätzt werden.
Aufgrund psychischer Erkrankungen entstehen erhebliche Kosten, insbesondere durch Arbeitsunfähigkeit und Frühberentungen. Die Bundesregierung schätzt, dass im Jahr 2008 ein Produktionsausfall von 26 Milliarden Euro und ein Ausfall an Bruttowertschöpfung von 45 Milliarden Euro und 18 Prozent aller verlorenen Erwerbsjahre auf psychische Erkrankungen zurückgingen. Damit stehen die psychischen Erkrankungen nach den Verletzungen und Vergiftungen bereits an zweiter Stelle der Ursachen für verlorene Erwerbsjahre. Für jeden Euro, der in Psychotherapie investiert wird, können Einsparungen von zwei bis drei Euro erreicht werden.
Psychotherapeuten behandeln so lange wie notwendig. Etwa die Hälfte der ambulanten Psychotherapien sind Kurzzeittherapien von bis zu 25 Sitzungen je 50 Minuten. Zwischen zwei Drittel und drei Viertel der genehmigten Stundenkontingente werden von den Psychotherapeuten ausgeschöpft. Durchschnittlich 40 bis 45 Sitzungen werden dabei auf zwei Jahre verteilt. In vielen Fällen verbessern sich die Krankheitssymptome bereits mit einer Kurzzeittherapie deutlich. Komplexe Formen psychischer Erkrankungen oder chronische psychische Erkrankungen erfordern jedoch in der Regel längere Therapien. Beispielsweise sind bei der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen längere Behandlungen notwendig, als die Krankenkassen im Regelfall bezahlen. Internationale Leitlinien empfehlen hier ausdrücklich, keine Behandlungen mit kürzerer Dauer anzubieten.
Psychotherapeuten erfüllen ihre Versorgungsaufträge, so gut es ihnen angesichts der engen Vorgaben der Krankenkassen möglich ist. Niedergelassene Psychotherapeuten arbeiten durchschnittlich 36 bis 43 Stunden in der Woche, die Kassenärztliche Bundesvereinigung geht sogar von durchschnittlich 47 Wochenstunden aus (Arbeitszeit). Davon erbringen sie 25 bis 31 Stunden in direktem Kontakt mit ihren Patienten (Patientenzeit). Mindestens ein Drittel der Arbeitszeit ist für weitere Aufgaben und Verpflichtungen, wie Dokumentation, Anträge, Abrechnungen und Praxismanagement, erforderlich.
Psychotherapie ist ein attraktives Berufsfeld. Jährlich schließen mehr Psychotherapeuten ihre Ausbildung ab, als ältere Psychotherapeuten in Ruhestand gehen. Frei werdende Praxissitze können auch in ländlichen Regionen innerhalb kurzer Zeit besetzt werden.
Dieser BPtK-Standpunkt entstand aus der Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Referenten der BPtK (Dr. Thomas Bär, Dr. Johannes Klein-Heßling, Dr. Timo Harfst, Dr. Tina Wessels, Dr. Johannes Schopohl, Dominique Krause) und der Landeskammern Bayern (Nina Rehbach), Berlin (Karin Jeschke), Hessen (Dr. Matthias Ochs), Niedersachsen (Lea Peplau), NRW (Eva Kanth, Helmut Dikomey), der OPK (Kerstin Dittrich) und Baden-Württemberg (Dr. Rüdiger Nübling, Dr. Jürgen Schmidt).
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