Im Zuge der Abegordnetenhauswahl Berlin am 18.09.2011 wurden die Gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktionen Stellung zur künftigen gesundheitlichen und psychotherapeutischen Versorgung von der Psychotherapeutenkammer Berlin befragt:
1) Wenn Sie an die Regierung kommen, was sind Ihre gesundheitspolitischen Ziele für Berlin?
2) Durch das geplante Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung sollen ein Drittel der KV-Sitze für Psychotherapeuten (648 von 2113 KV-Sitze - in Vollzeit umgerechnet) gestrichen werden. Was ist Ihre politische Antwort darauf?
SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin
"Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Berliner Gesundheitspolitik zukünftig noch mehr als bisher indikationsspezifisch und dabei akteursübergreifend thematisiert werden muss. Dies dient auch der Entwicklung bzw. Umsetzung integrativer Behandlungsansätze, die beispielsweise die Versorgung mit nichtärztlichen Gesundheitsdienstleistungen bspw. der Gesundheitsfachberufe oder aber soziale Fragestellungen verstärkt einbeziehen. Mit dem Entwicklungskonzept zu HIV gibt es hier einen guten Anfang. Ähnliche "Masterpläne" brauchen wir für u.a. Schlaganfall, Depressionen, Krebs und spezifischen Problemlagen der Männer- oder Frauengesundheit. Lassen Sie uns dies gemeinsam in der nächsten Legislaturperiode auf die Agenda setzen. Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendpsychotherapeuten spielen eine große Rolle, wenn es um eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung geht.
Gleiches gilt für die Gesundheitsfachberufe. Wir setzen uns dafür ein, dass auch die klassischenAusbildungsgänge verstärkt Aufstiegs- und Entfaltungsmöglichkeiten erhalten. Dazu gehört, Inhalte modular in innovativen Studiengänge einzubringen. Beispielsweise ist dies jetzt schon an einigen Hochschulen der Fall, diesen Weg wollen wir weiter gehen und ausbauen. Und: Dem drohenden Fachkräftemangel in der Gesundheitsbranche begegnen wir auch in Zukunft aktiv.
Schon heute ist Berlin Spitze in der Gesundheitswirtschaft. 350 000 Menschen sind in der Gesundheitswirtschaft beschäftigt. Charité, Vivantes und über 300 kleinere und mittelständische Unternehmen der Medizintechnologie, Arznei- und Biotechnologie sind Motor für Arbeitsplätze und dafür, dass es den Menschen in Berlin gut geht. Allen voran die kommunale Gesundheitswirtschaft: Mit der Fusion der Labore von Charité und Vivantes hat der Senat das größte Krankenhauslabor Europas geschaffen. Die Kooperation von Charité und Vivantes, den beiden größten kommunalen Einrichtungen im deutschen Gesundheitswesen, werden wir ausbauen. Beide sind schon heute Motor der Entwicklung der Gesundheitsregion. Mit dem "Masterplan Gesundheit" werden wir die Kooperation von Wirtschaft, Kliniken, Gesundheitseinrichtugnen, Krankenkassen und öffentlicher Verwaltung weiter ausbauen. Wir werden die Innovationskraft stärken und auch die Rahmenbedingungen (Stichwort: Gesundheitscluster) weiter verbessern.
Der Markt der Gesundheitsdienstleistungen muss allerdings weiterhin durch einen starken Verbraucher- und Patientenschutz sowie die Stärkung der Patientenrechte flankiert werden. Von daher werden wir Prävention und Gesundheitsförderung aufwerten und ein "Aktionsprogramm Gesundheit" auflegen, das bestehende Maßnahmen bündelt und ergänzt. Zudem wollen wir im Rahmen eines "Landesprogramms Patientenrechte" diese stärken. Informierte Patienten und Verbraucher sind eine wichtige Kraft auch im wachsenden Markt der Gesundheits- und Pflegedienstleistungen. Berlin ist hier bereits seit mehreren Legislaturperioden bundesweit Spitze: Als erstes Bundesland haben wir eine Patientenbeauftragte des Landes eingesetzt. Deren Kompetenzen werden wir imRahmen des Landesprogramms Patientenrechte erhöhen. Außerdem wollen wir Vorschläge der Beratungsstellen sowie Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprecher umsetzen, um das Berliner Gesundheitswesen patientenfreundlicher zu gestalten.
Doch auch die bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Dabei ist es wichtig, die Landesinteressen deutlich zu formulieren und klar im Bund zu vertreten. Denn über Bundesratsinitiativen oder aber die Gesundheitsministerkonferenz der Länder lässt sich so manch etwas anstoßen. Und: Berlin als Hauptstand ist für innovative Gesundheitsdiskurse bestens gewappnet. Beispielsweise wird sich Berlin weiter für eine klare Reform der Bedarfsplanung einsetzen. Dann könnten wir landesspezifische Regelungen vor Ort verankern. Die ambulante Bedarfsplanung muss zudem besser mit der Krankenhausplanung verschränkt werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass auf Landesebene von Bundesvorgaben abgewichen werden kann. Allzu häufig haben Patientinnen und Patienten schon heute in Berlin mit langen Wartezeiten und großen Entfernungen bei der Terminvergabe zu kämpfen. Sinn macht macht es, die Versorgungsforschung, bspw. bezüglich der Inanspruchnahme und des Zugangs zu medizinischen und psychologischen Hilfen, aber auch zu anderen Heilberufen und Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, deutlich zu intensivieren.
Die SPD freut sich auf einen verstärkten Dialog mit allen Akteuren des Berliner Gesundheitswesens. Wir schätzen Fachwissen und freuen uns auf die Ausgestaltung gemeinsamer Lösungen. Wo Konsens möglich ist, ist das gut. Und Konflikte lassen sich oft im Sinne der gemeinsamen Sache, der Gesundheit der Berliner Bevölkerung, produktiv lösen. Wir bauen auf alle, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen."
Die Linke im Abgeordnetenhaus
1. Wenn Sie an die Regierung kommen, was sind Ihre gesundheitspolitischen Ziele für Berlin?
Wir regieren ja in dieser Stadt bereits seit zwei Legislaturperioden und haben in dieser Zeit, glauben wir, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen, eine kluge Gesundheitspolitik gemacht. Die schwierigen Rahmenbedingungen werden zum einen durch die nach wie vor prekäre Haus-haltssituation Berlins gesetzt, die wir von unseren Vorgängerregierungen geerbt haben und die un-sere politischen, auch gesundheitspolitischen Handlungsspielräume massiv einschränkt. Diese Stadt zahlt jeden Tag mehr als sechs Millionen Euro Schuldzinsen! Zum anderen durch eine Gesundheitspolitik auf Bundesebene, die das individuelle Lebensrisiko Krankheit immer mehr zur Privatsache macht und deren Reformbestrebungen einzig darauf hinauslaufen, Kosten zu Lasten der Betroffenen umzuverteilen, statt sie einzusparen.
Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das sich weniger als Reparaturbetrieb versteht, sondern vielmehr auf Erhalt von Gesundheit und Prävention setzt. Die Arbeit der Landesgesundheitskonferenz, die wir in Berlin eingerichtet haben, und des Netzwerks "Gesunde Stadt" weisen hier in die richtige Richtung. Sie sind weiter zu entwickeln. Unter Rot-Rot ist unser öffentliches Krankenhausunternehmen "Vivantes", das bei Regierungsübernahme noch vor der Insolvenz stand, saniert und konsolidiert worden. Hierzu haben die Beschäftigten einen wesentlichen Anteil geleistet, um ihre Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern und die medizinische Versorgung der Bürger dieser Stadt auf hohem Niveau zu gewährleisten. Wir haben so die Privatisierung unserer städtischen Krankenhäuser verhindert.
Es kommt jetzt darauf an, langfristig wieder ausreichende Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen. Zur Zeit sind dafür im Haushalt pro Jahr rund 93 Mio. € veranschlagt. Allerdings gehen davon jedes Jahr noch mehr als 33 Mio. € dafür drauf, die Schulden aus dem Krankenhausinvestitionsprogramm von 1995-2002 zu begleichen. Das geht noch bis in das Jahr 2015. DIE LINKE kämpft momentan darum, diese Gelder, nachdem der Schuldendienst abgeleistet sein wird, weiter für die so dringend notwendigen Krankenhausinvestitionen einzustellen. Wichtig bleibt der Öffentliche Gesundheitsdienst. Wir wollen ihn in seinen Kernaufgaben weiter stärken und dabei die Kooperation mit Schulen, Kitas, den weiteren Einrichtungen der Gesund-heitsversorgung, also niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, Krankenhäusern, Ambulanzen, Psychologinnen und Psychologen vertiefen. Hierzu brauchen wir allerdings auch eine attraktivere Tarifstruktur, weil es unter den aktuellen Bedingungen kaum gelingt, freie Stellen mit qualifizierten Ärzten zu besetzen.
Eine weitere wesentliche Aufgabe wird es sein, die Versorgung mit Haus- und Fachärzten in der Fläche zu gewährleisten. Berlin hat sicher keinen Mangel an praktizierenden Ärzten, aber es gibt dennoch vielerorts eine gefühlte Unterversorgung. Neukölln verlor allein zwischen 2006 und 2011 insgesamt 57 Mediziner - darunter 16 Hausärzte, 15 Psychotherapeuten und sieben Gynäkologen.
Hier ist vor allen die KV in der Verantwortung. Sie hat den Sicherstellungsauftrag. Wir brauchen zukünftig kleinräumigere Bedarfsanalysen für die Versorgungsplanung. Schließlich wollen wir Berlin zu einem Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe entwickeln, das über den eigenen Bedarf hinaus Fachkräfte für das ganze Spektrum der Gesundheitsversorgung mit seinen unterschiedlichen Anforderungen und Aufgabenprofilen ausbildet.
2. Durch das geplante Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung sollen ein Drittel der KV-Sitze für Psychotherapeuten (648 von 2113 KV-Sitzen in - Vollzeit umgerechnet) gestrichen werden. Wie ist Ihre politische Antwort darauf?
Das "Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung" ist eine Bundesangelegenheit. Der uns vorliegende Referentenentwurf vom 10. Juni 2011 umfasst 169 Seiten. Wir können dort zunächst keinen Beleg für die in ihrer Frage enthaltene Feststellung finden. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass sich der Bedarf für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus entsprechenden Bedarfsanalysen und medizinischer Notwendigkeit abzuleiten hat und nicht das Ergebnis von Verteilungskämpfen um Budgetanteile sein kann. Allerdings wissen Sie auch: Der Versorgungsgrad mit Psychotherapeuten ist in Berlin überdurch-schnittlich hoch. Er liegt bei etwa 168 Prozent.
Man kann nun über die zugrunde liegenden Bezugs-größen streiten oder die Notwendigkeit eines solchen Versorgungsgerades trefflich begründen. Wir wollen das gar nicht werten. Und dennoch ist trotz dieser vermeintlichen Überversorgung in Berlin die Versorgung in der Fläche auch in diesem Fachgebiet nicht mehr überall vollständig gewährleistet. Wir sind politisch dafür verantwortlich, die medizinische Versorgung der Menschen in dieser Stadt wohnortnah zu sichern. Nach diesem Kriterium sind auch politische Entscheidungen auf Bundesebene zu bewerten.
Die CDU im Abgeordnetenhaus
1. Wenn Sie an die Regierung kommen, was sind Ihre gesundheitspolitischen Ziele für Berlin?
Für mich sind insbesondere drei Schwerpunkte von herausragender Bedeutung:
- a) Stärkung der Gesundheitsstadt Berlin und Stabilisierung der Krankenhauspolitik,
- b) Ausbau des Öffentliche Gesundheitsdienstes entsprechend den Erfordernissen und
- c) Absicherung einer bedarfs- und patienten¬orientierten Gesundheitsversorgung.
Das bedeutet im Einzelnen:
a) Grundlage unseres Handelns wird der Masterplan Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg bleiben, dessen Umsetzung wir gemeinsam mit allen andern Partnern voran treiben wollen. So wollen wir z.B. durch eine zielgerichtete Krankenhauspolitik die Hochleistungsmedizin stärker befördern sowie Standortfragen, Rechtsformen und Trägerstrukturen vorurteilsfrei prüfen, um Investitionsstau und Stagnation zu beenden. Die Krankenhausversorgung der Berliner Bevölkerung wollen wir bedarfsgerecht ausgestalten und sichern, den Krankenhausträgern Planungssicherheit geben und die Krankenhausfinanzierung gerechter gestalten. Wir wollen, dass der Leuchtturm Charité für die Stadt erhalten bleibt. Deshalb unterstützen wir den Vorschlag, den Bund im Rahmen einer Stiftung an der Charite zu beteiligen, damit Forschung, Lehre und Kran¬kenversorgung auch in den nächsten Jahrzehnten in guter Qualität erfolgen können.
b) Die CDU will den Öffentlichen Gesundheitsdienstes stabilisieren, damit die im ÖGD - Gesetz festgelegten Aufgaben, wie z. B. Infektionsschutz, Suchthilfe oder Kindergesundheit, wieder ausreichend gewährleistet werden können. Vor allem wollen wir, dass die Ersthausbesuche nach der Geburt eines Kindes wieder vollständig stattfinden und die Begleitung sehr junger Eltern und von Risikofamilien durch frühe Hilfen erfolgen. Die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen in Kitas und Schulen sind vollständig abzusichern. Darüber hinaus setzen wir uns für mehr Beratung und Angebote zur Bewegung und richtigen Ernährung vor allem für Familien in sozialen Brennpunkten ein.
c) Hinsichtlich der Versorgungsstrukturen ist unser Ziel, dass die Unterversorgung mit Haus- und Fachärzten in bestimmten Bezirken und Stadtteilen beseitigt wird, damit die ärztliche Versorgung auch in sozialen Brennpunkten und in den Außenbezirken bedarfsgerecht erfolgt. Im Zusammenhang mit einer stärker auf die Patienten orientierten Gesundheitsversorgung wollen wir vor allem den Versorgungsbereichen Gerontologie, Kindergesundheit, Migrantenmedizin und psychische Gesundheit unsere Aufmerksamkeit widmen.
Insbesondere vor dem Hintergrund des rasanten Anstiegs psychischer Erkrankungen sehen wir den Druck, das Berliner psychiatrische Hilfesystem weiter zu entwickeln. Hier bedarf es sowohl einer aktuellen Landesplanung wie einer Qualifizierung des Systems insgesamt. Vordringlich ist vor allem der Abbau langer Wartezeiten auf eine Therapie, die Verbesserung der bedarfsgerechten Vermittlung in das Versorgungssystem und die Schließung von Lücken bei den Leistungsangeboten insbesondere für Kinder und alte Menschen. Dringend muss der Verkürzung der Behandlungsdauer in den Krankenhäusern der Ausbau der ambulanten Betreuung folgen. Die jetzige gemeindenahe psychiatrische Versorgung und die entstandenen Netzwerke für psychische Gesundheit sind dafür eine gute Grundlage.
2. Durch das geplante Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der ge¬setzlichen Krankenversicherung sollen ein Drittel der KV-Sitze für Psychotherapeuten (648 von 2113 KV-Sitzen - in Vollzeit umgerechnet) gestrichen werden Was ist Ihre politische Antwort darauf?
Ein Ziel des Versorgungsgesetzes ist, dem Abbau von Über- und den Ausgleich von Unterversorgung innerhalb der gesundheitlichen Versorgungsstrukturen einen neuen Rahmen zu geben. Doch auch wir sehen, dass eine 1:1 Umsetzung des jetzigen Entwurfs im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung für Berlin problematisch werden könnte. Zwar haben wir rein rechnerisch gesehen eine Überversorgung an Psychotherapeuten, doch bei der starken Zunahme psychischer Erkrankungen, den zu langen Wartezeiten und dem spürbaren Defizit an Spezialisten im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie könnten sich die Festlegungen als kontraproduktiv erweisen.
Wir sind deshalb froh, dass auf unserer Fraktions-Veranstaltung zum Versorgungsgesetz am 20. Juni dieses Jahres mit der Bundestagsabgeordneten Frau Stefanie Vogelsang auch dieses Problem ausführlich zur Sprache gekommen ist. Sie sagte zu, sich für eine Lösung dieser Fragen einzusetzen.
Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin
Gute Gesundheit und Pflege:
Damit die Berlinerinnen und Berliner gesund bleiben, brauchen wir gesundheitsfördernde Lebens- und Arbeitsbedingungen und Prävention im Bezirk, in den Kiezen, in den Kitas und Schulen. Gesundheit ist Lebensqualität, aber viele Faktoren gefährden unsere Gesundheit. Armut, Arbeitslosigkeit, psychische Belastungen und mangelnde Bildung gehören dazu. Prävention, die rund um die Geburt anfängt, Kinder schon im Kindergarten und Jugendliche in der Schule zu einer selbstbewussten und gesunden Lebensweise befähigt und sie durch das Arbeitsleben bis ins Alter begleitet. Wir wollen die Förderung der Gesundheit zu einem Schwerpunkt der künftigen Politik der Stadt machen. Vorbeugung ist uns ebenso wichtig wie das "Heilen" von Krankheiten. Deshalb werden wir ein Berliner Landes-Präventionsprogramm initiieren, das die Gesunderhaltung in den Vordergrund stellt. Wir brauchen eine gute Versorgung, die allen Berlinerinnen und Berlinern offensteht. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) spielt beim Schutz der Gesundheit der Berlinerinnen und Berliner neben den vielen Selbsthilfegruppen und Projekten der Gesundheitsversorgung eine wichtige Rolle. Ziel ist es, die beratenden, helfenden und aufsuchenden Angebote des Gesundheitsdienstes - wie Einschulungsuntersuchungen, Aids-Beratung und Behindertenbetreuung - zu stärken, damit sie ihre präventive Wirkung entfalten können. Auch die Präventionsarbeit - und Aufklärungsarbeit - gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und die Angebote für Betroffene müssen verlässlich und langfristig gesichert werden. Wichtig ist uns die wohnortnahe Versorgung besonders für alte, chronisch kranke und behinderte Menschen.
Wir wollen Spitzenmedizin in und aus Berlin.
Dafür muss der Senat endlich seine Verantwortung als Eigentümer der beiden großen öffentlichen Krankenhausträger des Landes - Vivantes und die Charité - annehmen und sie in die Lage versetzen, dies zu leisten. Das ist vor allem eine Aufgabe für die Politik. Wir wollen, dass die Charité als Universitätsmedizin und das Vivantes-Netzwerk für Gesundheit in ihren jeweiligen Profilen klar gestärkt werden und die politische Verantwortung nicht länger in Ressortkonkurrenzen untergeht. Und schon jetzt muss nicht nur der Investitionsstau bei der Charité beseitigt werden, auch für die kommenden Investitionsnotwendigkeiten bei Vivantes gilt es, Vorsorge zu treffen. Dabei kommt ein Verkauf oder eine Privatisierung einer oder beider für uns nicht in Frage. Wir sprechen uns zudem auch klar für den universitären Gesundheitsstandort im Südwesten Berlins aus, erwarten aber auch von der Charité, dass sie ihre Chance nutzt, Vorreiterin in der medizinischen Forschung in Zukunftsfeldern wie Prävention, Public Health sowie alters- und lebenslagenspezifische Medizin zuwerden - davon haben alle Berlinerinnen und Berliner etwas. Beide Institutionen müssen aus einer Hand gesteuert werden.
Wir treten für einen konsequenten Nichtraucherschutz ein.
Der Schutz vor dem Passivrauchen muss erweitert werden. Dazu gehören auch ein konsequenter Arbeitsschutz in den Krankenhäusern und der Gastronomie und ein Rauchverbot für Kinderspielplätze. Wir wollen verhindern, dass schon Kinder und Jugendliche mit dem Rauchen beginnen. Wir wollen den gesundheitsschädlichen Konsum von Drogen vermeiden und Abhängigkeiten verhindern. Das wird - und das hat die Vergangenheit gezeigt - nicht mit Strafverfolgung, sondern vor allem durch eine Stärkung der Suchtprävention gelingen. Übermäßigem Alkoholkonsum unter Jugendlichen wollen wir durch Programme begegnen, die auf das Erlernen von bewusstem und risikoarmem Konsum abzielen. Wir setzen uns für eine Beschränkung der Alkohol- und Tabakwerbung ein. Wir wollen den kriminellen Drogenhändlern das Handwerk legen, ihre Märkte austrocknen und nicht die DrogenkonsumentInnen bestrafen. Wir halten es für wirksamer, weiche Drogen wie Cannabis kontrolliert an Erwachsene abzugeben. Zum Schutz von KonsumentInnen muss die Qualitätskontrolle von Drogen mittels Drugchecking möglich gemacht werden. Beides wollen wir in einem Modellversuch erproben. Die ärztliche Verschreibung von Drogen an Schwerstabhängige wollen wir ermöglichen. Der Staatsanwaltschaft wollen wir es ermöglichen, sinnlose Strafverfahren schneller einzustellen.
Wir wollen das Bewusstsein für sexuelle Gesundheit fördern.
An Schulen muss Aufklärung ber sexuell übertragbare Krankheiten zur Regel werden. Männer, die Sex mit Männern haben, sind besonders in Berlin überproportional vom Anstieg der HIV-Neudiagnosen betroffen. Deswegen werden wir sie bei der Gewichtung der Mittel für Prävention stärker berücksich tigen. So unterstützenwir niedrigschwellige Präventionsangebote wie HIV-Schnelltests in Verbindung mit Beratung. Krankenkassen müssen sich endlich an der Aids-Prävention beteiligen! Menschen mit HIV und Aids müssen diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen.
PatientInneninteressen stärken
Damit PatientInnen ihre Anliegen und Rechte besser kennen und durchsetzen können, wollen wir die Anforderungsprofile für PatientenfürsprecherInnen in Krankenhäusern konkretisieren, die Patientenberatungsstellen angemessen fördern und das Amt der Patientenbeauftragten stärken. Das Berliner Gesetz für psychisch Kranke werden wir im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention überarbeiten.
Kinder stark machen - Gesundheitsförderung von Anfang an
Bereits bei Kindern und Jugendlichen nehmen chronische und psychische Erkrankungen zu. Alarmierend ist jedoch vor allem, dass sich die Gesundheitsrisiken bei 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen konzentrieren. Insbesondere diejenigen aus sozial benachteiligten Familien sind betroffen. Die Frage, ob Kinder krank werden oder gesund bleiben, entscheidet sich vor allem dort, wo sie wohnen, spielen oder lernen. Frühzeitige Gesundheitsförderung und Prävention in Kindertagesstätten und Schulen in den Bereichen Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung und Suchtprävention kann auch die Kinder und Jugendlichen erreichen, die durch andere Angebote nicht erreicht werden. Dazu sind Ressourcen notwendig und eine umfassende Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugend- und Bildungseinrichtungen.
Nicht die Menschen zur Hilfe, sondern die Hilfe zu den Menschen bringen
Pflegebedürftige Menschen müssen wissen, welche Hilfen ihnen zur Verfügung stehen. Sie brauchen Transparenz und die Vernetzung der Akteure und Angebote, integrierte Versorgungssysteme und eine übersichtliche Infrastruktur. Das "persönliche Budget" - die individuelle Auswahl von Unterstützung wie z.B. die persönliche Assistenz - trägt zum Erhalt der Selbständigkeit bei. Wir wollen, dass die Paragraphen zu den Menschen passen und nicht umgekehrt. Oberstes Ziel muss sein, Pflege so lange wie möglich zu vermeiden und alles dafür zu tun, dass die Menschen in ihrer eigenen Wohnung und im vertrauten Kiez bleiben können. Hilfreich dafür ist eine unabhängige Wohn- und Pflegeberatung, die in wohnortnahen Pflegestützpunkten gebündelt wird. Dreh- und Angelpunkt einer auf den Kiez bezogenen ambulanten Versorgungsstruktur ist eine von den Bürgerinnen und Bürgern getragene Kultur des Helfens. Sie übernehmen selbst Verantwortung in der Nachbarschaft und überlassen dies nicht allein den Pflege-Profis, mit dem positiven Effekt, dass alte Menschen weniger einsam sind. Es geht um eine kluge Kombination von professionellen und angelernten Kräften, der Familie, nachbarschaftlicher Unterstützung und bürgerschaftlichem Engagement. Die Zahl der allein lebenden Menschen, die pflegebedürftig sind, nimmt in einer Großstadt wie Berlin stetig zu. Neben einer guten pflegerischen Versorgung sind für diese Menschen mehr Aufmerksamkeit und Solidarität geboten, z.B. durch aufsuchende Angebote. Nicht allen ist das Glück beschieden, im Alter gesund und aktiv zu bleiben. Viele haben Angst, durch die eigene Pflegebedürftigkeit einen Großteil an Würde und Selbstbestimmtheit aufgeben zu müssen. Verstärkt wird das Unbehagen durch die Skandale über Missstände im Pflegebereich. Wir müssen sicherstellen, dass gesetzliche Vorgaben tatsächlich umgesetzt und Qualitätskontrollen durchgeführt werden. Außerdem müssen einheitliche Qualitätsstandards verbindlich festgeschrieben werden.
Gute Arbeit - gute Pflege
Pflegen ist anstrengend - die Arbeitsbelastungen steigen, die Attraktivität der Pflegeberufe sinkt. Das ist eine Entwicklung, die wir uns nicht leisten können. Leisten müssen wir uns hingegen eine gute und attraktive Vergütung für Pflegende. Die Entscheidung für einen Mindestlohn war längst überfällig. Wir brauchen eine Neustrukturierung der Alten- und Krankenpflegeausbildung, die flexibler ist, in der die Ausbildung zur Pflege(fach)kraft auch in einzelnen aufeinander aufbauenden Qualifikationsstufen möglich ist. So wird der Einstieg für viele erleichtert, aber auch die Weiterqualifizierung im Bereich der Pflege ermöglicht. Im Bereich der Pflege kommt es immer wieder zu Gewalt gegen pflegebedürftige und behinderte Menschen. In Berlin ist ein entsprechendes Schutzsystem auszubauen.
Türen öffnen zu Menschen mit Demenz
Unsere besondere Fürsorge gilt den Menschen, die ihre Interessen nicht (mehr) selbständig vertreten können. Dazu zählen besonders Menschen mit Demenz, deren Zahl schnell wächst. Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz sind eine gute Entwicklung, vorausgesetzt, dass Pflegequalität und Verbraucherschutz sichergestellt werden. Notwendig sind klare Regelungen im Wohnteilhabegesetz, Unterstützungsangebote für die Angehörigen und eine Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Erforderlich sind zudem Selbstverpflichtungen zu Qualitätsstandards und klar definierte Qualitätsanforderungen bei der Pauschalförderung. Barrierefreiheit umfasst für uns auch die Barrierefreiheit für Menschen mit Demenz.
Würde bis zum Lebensende
Viele Sterbende haben den Wunsch, ihre letzten Tage und Stunden mit vertrauten Menschen im gewohnten Lebensumfeld zu verbringen. Die Realität sieht anders aus: Die meisten Menschen sterben in Krankenhäusern oder Heimen. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Würde, Selbstbestimmtheit und Autonomie eines jeden Menschen bis zuletzt respektiert wird. Hierzu muss der Ausbau der ambulanten palliativen Versorgung verstärkt werden. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die erhöhten Kosten der Sterbebegleitung bei Patientengruppen mit besonderen Belangen (z.B. Aids- oder Demenzpatienten) von den Berliner Krankenkassen übernommen werden.
Unsere Antwort auf die Auswirkungen des Versorgungsgesetzes:
Die Streichung von KV-Sitzen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Berlin durch das Versorgungsgesetz des Bundes sehen wir sehr kritisch. Besonders das Ausmaß der wegfallenden Sitze ist Anlass zur Besorgnis. In der Bedarfsanalyse des Berliner Krankenhausplanes wurde eine sehr hohe Auslastung der stationären Psychiatrie in unserer Stadt festgestellt. Der Senat hat mit einer Erhöhung der Bettenzahl um 300 Betten allein in diesem Bereich geantwortet, der wir unter diesen Vorraussetzungen zum Wohle der Patientinnen und Patienten zustimmen mussten. Bündnis90/Die Grünen fordern aber eine Bekämpfung der Ursachen, nicht der Symptome. Wir wollen die stationären Einweisungen nach Möglichkeit verhindern, indem wir mehr präventive ambulante Angebote anbieten. Dazu gehören insbesondere die niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. In den Berichten verschiedener gesetzlicher Krankenkassen wird von einem Anstieg der psychiatrischen Erkrankungen berichtet. Die Verweildauer in einer stationären Einrichtung und die Fallzahl sind angestiegen. Nicht immer ist jedoch ein stationärer Aufenthalt notwendig. Der Übergang aus der stationären in die ambulante Versorgung muss lückenlos verlaufen, das Entlassungsmanagement muss optimiert werden und sektorenübergreifende Ansätze sind einzurichten. Dabei spielen die ambulant tätigen Psychotherapeuten eine wichtige Rolle, um den sogenannten Drehtüreffekt, die Wiedereinweisung innerhalb kurzer Zeit mit der selben Diagnose zu verhindern. Mit einem Abbau der KV-Sitze für die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wird keine Verbesserung im Sinne der Patientinnen und Patienten erreicht werden können.
FDP im Abgeordnetenhaus Berlin
Kai Gersch, Gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Abgeordnetenhaus Berlin, wurde von uns mehrfach angeschrieben - leider ohne Reaktion.