Ein Bericht von Brigitte Reysen-Kostudis (Redaktionsmitglied)
Wenn Daniel Bass, Psychotherapeut in Rottweil, von potentiellen neuen Klienten gefragt wird, wie so eine Psychotherapie eigentlich funktioniere, empfiehlt er häufig einen Film. Bilder sagen seiner Meinung nach mehr als viele Worte, und einen Film anzusehen ist manchmal eine geringere Hürde als ein Buch zu lesen. Mit Kindern, die unter Ängsten leiden, sieht er sich als Einstieg in die Behandlung beispielsweise ‚Harry Potter und der Gefangene von Askaban’ an. Besonders auf die Szene, in der Harry und sein Freunde sich ihren Ängsten stellen und sie mit Hilfe des ‚Expecto Pratonum’ Zauberspruchs bewältigen, kommt er dann im Laufe der Therapie zurück und entwickelt gemeinsam mit den jungen Klienten eigene, speziell auf sie zugeschnittene Formulierungen, bei denen sie sich stark fühlen. Als Einstieg in die Therapie mit Erwachsenen verweist er gerne auf den Film ‚Die Legende von Bagger Vance’.
Die Handlung dieses Films aus dem Jahre 2000 geht auf den altindischen Bhagavad-Gita Mythos zurück: Der Fürst und Krieger Arjuna hat den Glauben an sich und seine Fähigkeiten verloren. Gott Krishna taucht in Gestalt einen weisen Mannes namens Bhagavan auf und verwickelt ihn in Gespräche über sein bisheriges Leben, seine Ziele und auch Ängste. Am Ende hat Arjuna seine Krise überwunden und kann sich wieder den Herausforderungen seinen Lebens stellen. Die Figur des Arjuna ist im Film Junuh, ein an sich zweifelnder ehemals erfolgreicher Golfspieler, dargestellt von Matt Damon. Es heißt, er habe seinen ‚Schwung’ verloren. Dennoch lässt er sich dazu überreden, nach längerer Auszeit an einem Turnier teilzunehmen. In dieser Situation bietet ihm Bagger Vance (gespielt von Will Smith) seine Dienste als Coach an. Natürlich geht es hier nicht so sehr um die Technik des Golfspiels sondern eher um den Glauben an sich selbst, an die eigenen Fähigkeiten. Indem Junuh seinen ‚Schwung’ wiederfindet, bewältigt er seine inneren Konflikte und gewinnt wieder an Selbstvertrauen.
Die Dialoge zwischen Spieler und Coach gleichen - wie auch schon die Gespräche zwischen Bhagavan und Arjuna - psychotherapeutischen Gesprächen. Auch hier geht es zunächst darum, eine tragfähige Beziehung aufzubauen, bevor der eigentliche Konflikt bearbeitet und neues Verhalten erprobt werden kann. Von der psychotherapeutischen Warte aus gesehen ist das Vorgehen von Bagger Vance ressourceorientiert, oft konfrontierend, aber niemals direktiv. Er ist ein akzeptierender Begleiter, der es seinem Schützling ermöglicht, selbst den richtigen Weg - bzw. den alten Schwung - zu finden. In diesem Zusammenhang überrascht es dann vielleicht auch schon nicht mehr, dass der Drehbuchautor - Jeremy Leven - selbst Psychotherapeut ist. Zu seinen bekanntesten Filmen gehört neben ‚Bagger Vance’ sicherlich ‚Don Juan de Marco’ (Hauptdarsteller: Marlon Brando und Jonny Depp), bei dem er auch Regie führte.
An der Kinokasse und bei den Kritikern war ‚Bagger Vance’ trotz des Star-Aufgebots (neben den Darstellern Matt Damon und Will Smith führte Robert Redford Regie) übrigens kein großer Erfolg: zu viele ‚Gerede’, zu wenig Dramatik! Aber ist eine Psychotherapiesitzung nicht oft genau so?
Ein weiteres Beispiel für Psychotherapeuten, die sich in ungewohntes Terrain wagen ist Philippa Perry. Sie ist Gestaltpsychotherapeutin und arbeitet als niedergelassene Psychotherapeutin in London. Ihr Buch mit dem Titel ‚Couch Fiction’ ist im Comic-Stil geschrieben und gerade in deutscher Übersetzung im Kunstmann Verlag erschienen.
Es ist die Geschichte einer Begegnung zwischen der Psychotherapeutin Patricia und ihrem Klienten James. Wir sind Zeugen der ersten Annäherungen, dem ersten Telefongespräch, dem ersten Gegenüberstehen und auch den ersten Eindrücken auf beiden Seiten. Perry gibt hier nämlich nicht nur Dialoge wieder, sondern lässt uns auch an den Gedanken der beiden Protagonisten teilhaben. Daher wissen wir, dass Patricia manchmal nicht ganz bei der Sache ist, sich nach einer Tasse sehnt, während sie James zuhört. Und wir erfahren das, worüber James nicht spricht, Dinge er lieber vor seiner Therapeutin verheimlich oder auch Phantasien über sie. Oftmals erläutert Perry das Geschehen in kurzen Fußnoten, wobei sie theoretische Hintergründe - beispielsweise zu Übertragungsphänomenen - aufzeigt.
Bis zum erfolgreichen Ende der Therapie, in der James von seiner Kleptomanie geheilt wird, ist es noch ein langer Weg. Perry greift Szenen aus unterschiedlichen Phasen des Behandlungsprozesses heraus, der sich insgesamt über 43 Sitzungen erstreckt: Manchmal weiß James gar nicht, was er hier überhaupt soll, manchmal tappt Patricia völlig im Dunkeln. Aber dann gibt es wieder Momente, in denen alles stimmt, das Richtige zum richtigen Zeitpunkt gesagt wird. Patricias Vorgehen ist anders als das von Bagger Vance, sie arbeitet aufdeckend, will den ursächlichen Konflikt hinter James’ Fehlverhalten herausfinden, was ihr letztendlich auch gelingt. Aber wie im zuvor genannten Film geht es hier in erster Linie um die Beziehung zwischen zwei Menschen.
In der heutigen Zeit, in der so viel über Qualitätssicherung, Manuale und Wirkfaktoren diskutiert wird, stellt Perry heraus, dass es bei einer erfolgreichen Therapie vor allem um diese menschliche Begegnung geht. Indem sie den Prozessverlauf in so vielen Bildern ganz konkret darstellt, trägt sie zur Entmystifizierung der Psychotherapie bei, die dadurch begreifbar wird. Lesern, die nur recht schwammige Vorstellungen über den Ablauf einer psychotherapeutischen Sitzung haben, erzogene Heilserwartungen aber auch Ängste können so reduziert werden.
Zu empfehlen ist ‚Couch Fiction’ auch für angehende Psychotherapeuten, zum einem, weil es die Verbindung von Theorie und praktische Anwendung anschaulich darstellt, und zum anderen, weil es keinen gradlinigen, idealisierten Prozessverlauf beschreibt. Die Therapie ist erfolgreich, obwohl manche Sitzungen nicht so gut laufen, und die Therapeutin gelegentlich Fehler macht. Anfänger in diesem Beruf lernen daher nicht nur, theoretisches Wissen anzuwenden, sondern ihnen wird darüber hinaus Mut gemacht, sich das Abenteuer Psychotherapie einzulassen. Im Interview hat Perry gesagt, dass sie ein Buch schreiben wollte, das sie selbst zu Beginn ihrer praktischen Tätigkeit gerne gelesen hätte: lehrreich, unterhaltsam und anschaulich (Cooke 2010). Das ist ihr gelungen!
Aber auch erfahrene Psychotherapeuten werden ihre Freude beim Lesen haben, sich möglicherweise in einigen Szenen wiedererkennen und wissend schmunzeln. Und wenn sie das nächste Mal gefragt werden, wie Psychotherapie funktioniert, empfehlen sie vielleicht dieses Buch.
Bass, Daniel (2011): Kinofilme als Medium in Hypno- und Psychotherapie. Workshop auf der Jahrestagung der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose (MEG), 24. Bis 27. März 2011 in Bad Kissingen
Cooke, Rachel (2010): I love Susie Orbach and Harvey Pekar comics - so I wrote Couch Fiction. An Interview with Perry, Philippa. The Observer, 18.04.2010
www.guardian.co.uk/theobserver/2010/apr/18/philippa-parry-couch-fiction-interview