Burnout - viel publiziertes Thema
Wenn Diät-Tipps schon mehrfach auf der Titelseite standen, die königlichen Hochzeiten abgefeiert und die Krisen der Politik ausgeschlachtet sind, kommt irgendeiner der Redakteure auf die Idee: "Wie wär’s denn mal wieder mit Burnout?". Die Zeitschriften sind gefüllt mit Geschichten zu diesem Thema. Große Magazine wie Der Spiegel, Focus und Geo Wissen haben Sonderschriften mit zum Teil angeklebten DVD-Filmen zum besseren Umgang mit Stress herausgegeben. Neben Voyeurismus, ernst gemeinter sachlicher Aufklärung lässt sich mit "Burnout" anscheinend viel Geld verdienen.
In einem kritischen Kommentar von Wolfgang Schmidbauer über "die merkwürdige Karriere eines Begriffs" im letzten Psychotherapeutenjournal (4/2011, S. 343 bis 344) sieht er eine besondere Tragik darin, dass bei den Betroffenen vielfach Szenen von Selbstüberschätzung und Selbstüberforderung vorausgehen. Burnout-Betroffene sind "meist besonders angenehme, scheinbar belastbare und begabte Menschen. Dass sie Hilfe brauchen, das wird erst deutlich, wenn der Überschwang zusammenbricht".
Burnout - aktueller Kenntnisstand zur Forschung und Theorie
Noch gibt es keine einheitliche Definition nach den internationalen Klassifikationssystemen ICD 10 oder DSM V. Die meisten orientieren sich nach dem Verständnis des New Yorker Psychanalytiker Herbert Freudenberger von 1974, wonach sich Burnout als ein chronischer Erschöpfungszustand versteht, der sich über Wochen, bisweilen auch Jahre, hinziehen kann. Er führt von Antriebs- und Kraftlosigkeit zu Depressionen und im Extremfall zum Suizid. Theoretische Erklärungsmodelle von Burnout haben sowohl eine persönliche (intrinsische) als auch arbeitsbe-zogene (extrinsische) Komponente. Viel diskutierte und validierte Erklärungsansätze zu Burnout sind z.B. das Job-Demand-Control-Modell von Karasek und Theorell (1979) oder das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Johannes Siegrist (1996).
Zuletzt veröffentlichte das Deutsche Ärzteblatt für PP und KJP (Ausgabe 12/2011) eine beachtliche Übersichtsarbeit "Modediagnose Burnout" von Wolfgang P. Kaschka, Dieter Korczak und Karl Broich. Grundlage des Artikels war ein systematischer Review (HTA-Bericht), der vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information in Auftrag gegeben wurde und eine Übersicht des gegenwärtigen Kenntnisstandes zu Burnout liefern und aufzeigen sollte. Insgesamt wurden 852 Publikationen aus 36 elektronischen Literaturdatenbanken gesichtet.
Die Autoren Kaschka, Korczak und Broich plädieren vor allem für Maßnahmen, die zu Veränderungen der Arbeitswelt im Sinne einer umfassenden Humanisierung führen sollten. Humankriterien der Arbeitsgestaltung wurden bereits als DIN EN ISO 9241-2 formuliert. Demnach sind Ar-beitsaufgaben gut gestaltet, wenn
- die Erfahrungen und Fähigkeiten der Beschäftigten berücksichtigt werden;
- sie die Entfaltung unterschiedlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten gestatten;
- sie Arbeitsschritte von der Planung bis zur Kontrolle ermöglichen;
- der Arbeitende seinen Beitrag am Gesamten erkennt;
- angemessener Handlungsspielraum besteht;
- ausreichende Rückmeldung erfolgt und
- vorhandene Fertigkeiten genutzt und neue entwickelt werden können.
Fehlregulierungen zwischen betrieblichen Anforderungen und den überzogenen persönlichen Erwartungen bzw. zu hohen Belastungen müssen möglichst frühzeitig behoben werden.
Burnout - hohe gesundheitsökonomische und gesundheitspolitische Relevanz
Das Thema Burnout hat neben dem persönlichen Leid auch eine hohe gesundheitsökonomische und gesundheitspolitische Relevanz. Die Arbeitsunfähigkeitsanalysen (AU-Berichte) der gesetzlichen Krankenkassen zeigen, dass der Anteil an psychischen Erkrankungen in den Betrieben rund ein Drittel des Krankenstandes ausmacht. Häufig betroffen sind die Branchen Dienstleistungen, Öffentliche Verwaltung und Banken/Versicherungen. Jeder Fehltag kostet einem Unternehmen (je nach Branche) durchschnittlich zwischen 300 bis 400 EURO. Präventionsexperten gehen davon aus, dass für jeden investiertem EURO in Präventionsmaßnahmen nach Berechnungen des Returns on Investment ca. 2-6 EUR an das Unternehmen zurückfließen.
Burnout - Verstärkung der betrieblichen Prävention
Betriebliche Burnout-Prävention muss auf zwei Ebenen ansetzen: 1. Auf der Ebene von Maßnahmen, die dazu verhelfen, dass sich eine "Kultur der Achtsamkeit" im Arbeitsumfeld entwickelt. Es müssen Fragen gestellt und auch geklärt werden, wie Führung anders gestaltet werden kann, wie man auch auf die Mitarbeiter achten kann, die zu viel arbeiten. 2. Maßnahmen auf der individuellen Ebene: Burnout-Gefährdete oder -Betroffene müssen lernen, sich zu managen und für eine "gute Work-Life-Balance" zu sorgen. (Fürstenberg in Hempel 11/2011; 14-19)
Für die Entwicklung um Umsetzung geeigneter Präventionsprogramme in den Betrieben sind psychotherapeutische Kompetenzen gefragt. Im Rahmen der betrieblichen Burnout-Prävention können Psychotherapeuten folgende Aufgaben übernehmen:
a) Maßnahmen zur Entwicklung einer betrieblichen Kultur der Achtsamkeit Durchführung von innerbetrieblichen Befragungen zur Arbeitszufriedenheit, Erhebung des gesundheitlichen/psychischen Status; Durchführung von Beratungen und Seminaren (Stressmanagement, Führungskräftetraining, Coaching…) - als innerbetriebliches oder betriebsübergrei-fendes Angebot. "Gute Mitarbeiterführung" ist eine der zentralen Erfolgsfaktoren, um Burnout zu vermeiden. Zahlreiche Tipps finden Verantwortliche in der gleichnamigen Broschüre (Nr. 10) von der Initiative Neue Qualität der Arbeit (www.inqa.de).
b) Maßnahmen auf individueller Ebene Hierunter fallen Beratungsangebote oder die Vermittlung in geeignete Therapiemaßnahmen und Begleitung der Wiedereingliederung.
Finanzielle Unterstützung durch die gesetzlichen Krankenkassen
Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung sind seit 2007 Pflichtleistungen der Kranken-kassen (§ 20 a SGB V). Laut Ärzteblatt PP (1/2012) geben die Krankenkassen derzeit nur 20 Prozent ihrer Präventionskosten für die Settingansätze aus. 80 Prozent der Leistungen zur Gesundheitsförderung entfallen auf individuelle Maßnahmen. Derzeit sind es vor allem Großbetriebe, die Maßnahmen zur betrieblichen Prävention mit Unterstützung durch die Krankenkassen durchführen. Kleine und mittlere Betriebe nutzen Angebote zur betrieblichen Prävention bislang noch selten. Hier sind betriebsübergreifende Strategien und Maßnahmen gefragt, die es auch mit Hilfe psychotherapeutischer Kompetenz weiterzuentwickeln gilt. Ein Beispiel für einen neuen Ansatz ist das Angebot des gemeinnützigen Vereins "Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz e.V." in Hamburg www.psygesa.de. Besonders erwähnenswert ist auch das betriebsunabhängige Online-Beratungsangebot zu Burnout www.beratung-hilft.de.
Betriebliche Prävention in Kooperation mit dem betrieblichen Arbeitsschutz
Zumindest in Großbetrieben bemühen sich weitere Berufsgruppen wie die Betriebsärztlichen Dienste (Verhütung psychischer Fehlbelastungen nach § 3 ArbSchG), die Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Unfallgefährdung), die sozialen Dienste oder die Arbeits- und Organisationspsychologen (Gestaltung der Arbeitsverhältnisse, Anwendung klinisch-therapeutischer Verfahren etc.) um die psychische Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Sinne der Synergieeffekte ist eine enge Kooperation zwischen der betrieblichen Prävention und dem gesetzlichen Arbeitsschutz sehr zu empfehlen.
Wertvolle Arbeitshilfen aus dem Bereich des Gesundheits- und Arbeitsschutzes (leider oft ohne expliziten Bezug zu Burnout) bieten z.B. die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und die Berufsgenossenschaften an. Die Toolbox der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (www.baua.de) fasst inzwischen über 93 (!) Verfahren zur Messung psychischer Gesundheit im Unternehmen. Die Länderausschüsse für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) haben Handlungsanleitungen entwickelt "zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und zu Möglichkeiten der Prävention". Problem ist allerdings, dass es nur wenige validierte Messverfahren speziell zu Burnout gibt. Dennoch können für die Bedarfserhebung betriebsspezifischer Präventionsprogramme viele der vorhandenen Instrumente genutzt werden.
Unterstützung zur Messung der Arbeitszufriedenheit/Gesundheit der Mitarbeiter oder zur Erstellung von auf den Betrieb zugeschnittenen Arbeitsunfähigkeitsauswertungen (AU-Berichte für Betriebe) bieten auch Krankenkassen und Berufsgenossenschaften ihre Kooperation an. Für kleinere Betriebe könnte das Angebot des Instituts für Sicherheitstechnik der Bergischen Universität Wuppertal eine Alternative sein. Dieses hat ein (Online-) Messinstrument zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Erwerbstätigen entwickelt: den Work-Ability-Index (WAI). Der WAI ist kein Messinstrument im herkömmlichen Sinne. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können am PC ihren individuellen Punktwert zum Verhältnis von aktueller Leistungsfähigkeit zur gestellten Arbeitsanforderung berechnen und erhalten eine für ihre Punktzahl zutreffende Auswertung mit Tipps, was sie bezüglich ihres ggf. schlechten Gesundheitszustandes unternehmen können.
Weitere Arbeitshilfen und Hintergrundinformationen zum Thema Burnout-Prävention finden Interessierte unter folgenden Link- und Literaturhinweisen (Listen nicht abschließend):
Weiterführende Links:
- www.inqa.de
- www.dnbgf.de
- www.iga-info.de
- www.baua.de
- www.bgw-online.de
- www.bvpraevention.de
- www.gesundheitberlin.de
- www.bmg.bund.de
- www.bvpraevention.de
- www.praeventionsatlas.de
- www.deutscher-unternehmenspreis-gesundheit.de
- www.oecd.org/dataoecd/18/1/49227343.pdf (OECD-Bericht zu psychischer Gesundheit im Arbeitsleben]
Weiterführende Literatur:
- Badura, Ducki, Schröder; Klose; Macco (2011): Fehlzeiten-Report 2011 - Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft: Führung und Gesundheit; Springer-Verlag, Ber-lin, Bielefeld, Neuendettelsau
- Berner, Thomas (2010, 2. Aufl.): Burnout-Prävention: Sich selbst helfen - das 12-Stufen-Programm, Schattauer-Verlag
- Faller, Gudrun Hrsg. (2010): Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung, Huber-Verlag, Bern, 1. Auflage
- Hempel, U. (2011): Immer am Limit - Burnout bei Ärzten; Berliner Ärzte, 11/2012, 14 bis 19
- Kaschka, W.; Korchzak, D.; Broich, K. (2011): Modediagnose Burn-out; Ärzteblatt PP und KJP, Heft 12/Dezember 2011, S. 567 bis 572
- Nelting, Manfred (2010, 5. Aufl.): Burnout - wenn die Maske zerbricht, Mosaik-Verlag - viele praktische Tipps, wenn man sich therapeutisch oder präventiv mit "Burnout" beschäftigt
- Schmidtbauer, W. (2011): Burnout: Depression der Erfolgreichen? Die merkwürdige Karriere eines Begriffs; Psychotherapeutenjournal 4/2011, 354 bis 355
Das Thema "Burnout" bedarf - losgelöst von den zahlreichen Medienkampagnen - der weiteren Forschung. Unter Experten wird über eine Vereinheitlichung der Diagnosekriterien diskutiert. Verbesserte Früherkennungs- und Kooperationsmöglichkeiten mit Betrieben werden gesucht.
Ein Beitrag von:
Dr. Beate Locher
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit