Berlin ist eine Stadt vielfältiger Kulturen, Lebensweisen und Lebensentwürfe. Insbesondere die sexuelle Vielfalt erzeugt leider immer noch bei vielen in der Bevölkerung Unbehagen im gegen-seitigen Umgang oder führt zur Diskriminierung bis hin zu kriminellen Handlungen. Am 2. April 2009 hat deshalb das Abgeordnetenhaus die Initiative "Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt" (Drucksache 16/2291) beschlossen. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung (LADS) hat für deren Umsetzung die Federführung übernommen und koordiniert die Aktivitäten innerhalb des Landes. Die Schwulenberatung beteiligt sich maßgeblich an dieser Kampagne und bietet ab 10. Juni 2011 (späterer Einstieg möglich) eine 7-teilige Fortbildung für PsychologInnen, TherapeutInnen und MitarbeiterInnen von Opfer- und Kriseneinrichtungen an. Die Fortbildung ist kostenlos und wurde von der Psychotherapeutenkammer Berlin zertifiziert.
Fragen der Redaktion an Arnd Bächler von der Schwulenberatung Berlin
Wenn man das Organigramm auf Ihrer Website betrachtet, sind Sie eine beachtlich große Beratungs- und Behandlungseinrichtung. Wie viele Fachkräfte arbeiten bei Ihnen und für welche Bereiche sind Sie zuständig?
Wir haben vier Zielgruppen, für die wir zuständig sind: 1. Schwule, bisexuelle Männer, 2. Männer und Frauen mit HIV/AIDS oder Hepatitis und 3. transidentische Menschen und 4. alle Men-schen, die Fragen rund um Homosexualität haben (Lehrer, Angehörige usw.).
Die Schwulenberatung hat vor 30 Jahren mit psychologischen Einzel- und Gruppenberatungen begonnen. Inzwischen arbeiten wir mit 75 Festangestellten und 120 Ehrenamtlichen. Es gibt eine Hauptstelle, mehrere Außenstellen und drei therapeutische Wohngemeinschaften (Einrich-tungen für Therapeutisches Wohnen), zwei für psychisch Kranke und eine für Suchtkranke. Zusätzlich hat die Schwulenberatung die Anerkennung für ambulante Suchttherapie und Nach-sorgebehandlung.
Das Angebot "Queer Leben" umfasst Beratung, Betreutes Wohnen und Einzelfallhilfen für Kin-der, Jugendliche, Angehörige, die mit sexueller Identität beschäftigt sind. Pluspunkt ist das Angebot für HIV-Positive und für Hepatitis-Infizierte, die in unserer Zweigstelle im Prenzlauer Berg Beratungen und Gruppenangebote in Anspruch nehmen können. Des Weiteren machen wir noch Vor-Ort-Arbeit im Rahmen der Primärprävention in der schwulen Szene zu HIV und anderen sexuell übertragbarer Krankheiten.
Demnächst ziehen wir in die Niebuhrstraße und haben dann ein Haus mit 5 Etagen. In der 2.Etage werden wie eine Wohngemeinschaft für demenzkranke schwule Männer gründen. Im 3. bis 5. Stock befinden sich Wohnungen, zwei Drittel werden an ältere schwule Männer vermietet, ein Drittel an jüngere schwule Männer sowie an Frauen und Heteros.
Bis vor wenigen Jahren galt Homosexualität noch als Krankheit (ICD 9). Wie beurteilen Sie die Entwicklung seither?
1973 wurde Homosexualität als Krankheit aus dem amerikanischen DSM-Manual gelöscht, 1992 aus dem ICD 10-Katalog der WHO. "Ich-dystone-Sexualorientierung" und "sexuelle Rei-fungskrise" gelten bis heute noch als Diagnosen im ICD 10-Katalog.
In Deutschland wird Homosexualität inzwischen weitgehend akzeptiert, wobei es immer noch zu Diskriminierungen kommt. International gesehen gibt es noch erheblichen Widerstand. Viele asiatische und afrikanische Länder bezeichnen Homosexualität heute noch als Krankheit.
Zu bemerken ist allerdings, dass sich manche Psychotherapeuten in Deutschland auch heute noch schwer tun, mit Homosexuellen unbefangen umzugehen. Das Zentrale ist, dass Psycho-therapeut/-innen eine positive Grundhaltung in der Beratung und Behandlung von Homosexuellen mitbringen. Das heißt, Interesse zeigen, wenn man nicht Bescheid weiß. Auch Therapeut/-innen können ihre Patient/-innen zur Homosexualität befragen.
Seit 2009 beteiligen Sie sich an der Initiative "Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt". Was verbirgt sich hinter dieser Initiative und wie sieht die Beteiligung der Schwulenberatung ganz konkret aus?
Anlass für diese Initiative waren große Diskriminierungen und Überfälle auf Homosexuelle und Transidente in Berlin. Das Land Berlin hat insgesamt knapp über 2 Millionen € für die Jahre 2010 - 2011 zur Verfügung gestellt, um dem Opferschutz eine besondere Bedeutung zukom-men zu lassen. Die psychologische Beratung von Opfern von homo- und transphober Gewalt sowie von Diskriminierung soll neben der psychologischen Betreuung auch Bewältigungsme-chanismen für den Alltag dienen. Es soll ein Netzwerk von kooperierenden, freien Thera-peut/Innen aufgebaut werden, damit eine im Bedarfsfall schnelle Vermittlung von Opfern homo- und transphober Gewalt und Diskriminierung dient. Dazu bedarf es der Fortbildung von Psycho-log/-innen und Psychotherapeut/-innen.
Primäre Ziele der Initiative sind:
- Psycholog/-innen und Therapeut/-innen zu homosexuellenfeindliche Gewalt und (Post-)Traumatisierung fortbilden
- Psycholog/-innen und Therapeut/-innen über lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Lebensweisen (LSBTI) informieren
- Psycholog/-innen und Therapeut/-innen für Akzeptanz sexueller Vielfalt sensibilisieren
- Ein Netzwerk von kooperierenden, freien Therapeut/-innen aufbauen
- Opfer homosexuellenfeindlicher Gewalt zu qualifizierten, niedergelassenen Therapeut/-innen vermitteln.
Wie kooperieren Sie mit anderen LGBTI Angeboten, wie Lesbenberatung und Queer-Leben?
Es gibt regelmäßige Treffen im Rahmen von Gremien. Wir schicken Patienten bzw. Klienten hin und her. Und auch im Rahmen der Fortbildung kooperieren wir. Vernetzung ist ganz wichtig. Als Schwulenberatung können wir nicht jede Hilfe anbieten. Deshalb sind wir in Berlin gut vernetzt.
In der PsychotherapeutInnensuchmaschine (www.psych-info.de)der Landeskammern, an der sich auch die Psychotherapeutenkammer Berlin beteiligt, gibt es relativ wenige Einträge für die Arbeit mit Schwulen oder Lesben. Wie könnten mehr Psychotherapeut/-innen für einen speziellen Hinweis auf die Behandlung von Schwulen oder Lesben unter www.psych-info.de gewonnen werden?
Ich bin überrascht, dass die Liste so gering ist. In unserer Kartei haben wir ca. 70 schwulen-freundliche Therapeut/-innen. Es mag sein, dass das für manche Psychotherapeut/-innen zu privat ist, wenn sie schreiben, dass sie auch mit Schwulen oder Lesben arbeiten. Psychoanalytiker arbeiten mit Übertragungen. Ihre Patienten sollen hemmungslos auf sie projizieren können, ohne dass der Therapeut/die Therapeutin etwas von sich privat Preis gibt. Meine persönliche Haltung ist da eine andere. Ich finde, für Patient/-innen ist es hilfreich, wenn sie wissen, dass ich schwul bin.
Sicherlich könnte man über die Fortbildungen versuchen, Psychotherapeut/-innen für mehr Einträge unter www.psych-info.de mit dem Zusatz "Erfahrungen mit schwulen oder lesbischen Patient/-innen" zu gewinnen. Allerdings finde ich auch, nicht jeder Patient/Klient braucht einen schwulen Therapeuten. Es kann Vorteile haben, weil man als Patient nicht viel erklären muss. Es kann aber auch hilfreich sein, wenn man als Patient einem heterosexuellen Therapeuten mehr erklären muss über seine Sexualität.
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/-innen berichten, dass sie des Öfteren sehr konflikthafte Comingouts bei ihren jugendlichen Patienten (ca. 16-19 Jahre) erleben. Insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund sei das sehr konfliktreich. Gibt es hier besondere Beratungsangebote, auf die die niedergelassenen Psychotherapeuten verweisen können?
Es gibt mehrere Stellen, die sich gezielt um Jugendliche mit Coming-Out-Problemen kümmern. Die Schwulenberatung ist gut vernetzt und kann diesbezüglich auch beraten. Zum Beispielt gibt es für türkische und arabische lesbische und schwule Jugendliche die Beratungsstelle GLADT = Gays&Lesbians aus der Türkei, www.gladt.de. Darüber hinaus gibt es auch Betreutes Wohnen für schwule und lesbische Jugendliche.
Was sind die Inhalte Ihrer Fortbildung?
In 6 Einführungsveranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen haben wir abgefragt, welche Fortbildungsthemen gewünscht werden. Daraus entstand eine 7-teilige Fortbildungsreihe. Die Module können auch einzeln belegt werden.
Das größte Unwissen besteht zur Transidentität. Daraus haben wir nun ein eigenes Fortbil-dungsmodul entwickelt. Bei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten z.B. war der Bedarf nach Informationen zu Coming-Out-Problemen besonders hoch.
Wenn Ihnen Daniel Bahr (FDP), unser neue Gesundheitsminister, Ihnen alle Wünsche erfüllen könnte, welche Wünsche hätten Sie dann?
Dass die künstliche Befruchtung auch für Homosexuelle rechtlich zulässig und über gesetzliche Krankenkassen teilfinanziert wird. Denn das wären Wunschkinder.
Ich würde mir auch mehr Geld für die HIV-Prävention wünschen. HIV-Medikamente sind wahnsinnig teuer. Wenn nur ein Mensch nicht HIV-positiv werden würde, hätten wir damit schon eine volle Präventionsstelle finanziert.
Ich würde mir auch wünschen, dass die Schwulenberatung mehr Budget für die Suchtprävention bei schwulen Männern hätte. Schwule Männer sind von Sucht deutlich häufiger betroffen als heterosexuelle Männer. Und es gibt keine speziellen Präventionsprogramme für Schwule.
Alle soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft haben juristisch die Möglichkeit, Arbeitnehmer/-innen zu entlassen, wenn ihre Homosexualität bekannt wird. Kirchlich geführte Einrichtungen gelten als Tendenzbetriebe, aber - da sie Angebote für die Allgemeinbevölkerung anbieten - müssten sie für alle Arbeitnehmer/-innen offen sein. Das ist ein Skandal, den man dringend angehen müsste.
Zuletzt sollten die humanistischen Therapieverfahren (Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama z.B.) wissenschaftlich anerkannt bzw. als Richtlinienverfahren zugelassen werden. In diesen Verfahren besteht historisch und aktuell mehr Offenheit gegenüber Homosexualität als in den bisherigen Richtlinienverfahren.
Herr Bächler, ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte, Dr. Beate Locher, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit